von Dr. Jürgen Martens, Tierärztliche Klinik für Pferde Bockhorn.
Das Tierschutzgesetz verbietet uns Tieren Leistungen abzuverlangen, denen sie offensichtlich nicht gewachsen sind. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Tiere aufgrund leistungsmindernder Krankheiten behandelt worden sind und diese Behandlungen den leistungsmindernden körperlichen Zustand verdecken. Ausdrücklich ist es außerdem verboten, die Leistungsfähigkeit von Tieren durch die Verabreichung von Dopingmitteln zu beeinflussen.
In Wahrnehmung der Verantwortung des Menschen, das Leben und das Wohlbefinden der Tiere als Mitgeschöpfe zu schützen, haben die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) und die Fédération Equestre Internationale (FEI) Regelwerke zum Gebrauch von Medikamenten bei Sportpferden und zum Verbot von Dopingsubstanzen verfasst.
Auf nationaler Ebene handelt es sich dabei um die „Anti-Doping und Medikamenten-Konrollregeln (ADMR)“ und international um die „Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations (EADCMR)“. Das nationale und internationale Reglement gleichen sich bis auf einige Ausnahmen, und verfolgen neben dem Tierschutz die Ziele Chancengleichheit herzustellen und Unfällen vorzubeugen.
Zur praktischen Umsetzung sind den ADMR Listen angefügt, in denen Wirkstoffgruppen und Substanzen aufgeführt werden. In Liste I sind Dopingsubstanzen und Behandlungsmethoden zusammengestellt, die im Wettkampf verboten sind. Liste II enthält Substanzen, die zur Behandlung von Sportpferden erlaubt sind, aber im Wettkampf verboten sind. In Liste III sind Substanzen und Behandlungsmethoden erfasst, die nicht nur im Wettkampf sondern darüber hinaus auch im Training verboten sind.
Zur Medikation von Sportpferden stehen also alle in Liste II der ADMR genannten medikamentellen Wirkstoffgruppen und Substanzen zur Verfügung. Bis auf höchst seltene Ausnahmen können mit diesen Medikamenten alle bei Sportpferden auftretenden Erkrankungen nach neuesten tiermedizinischen Erkenntnissen behandelt werden. Die Listen der ADMR werden regelmäßig fortgeschrieben, so dass dem medizinischen Fortschritt Rechnung getragen wird.
Um der Forderung gerecht zu werden, dass zum Zeitpunkt des Wettkampfes keine verbotene Substanz im Körper des Pferdes vorhanden sein darf („Nulltoleranz“), wäre es gut zu wissen, wie lange eine verabreichte Substanz oder ihre Stoffwechselprodukte im Körper des Pferdes nachweisbar sind („Nachweiszeit“). Für ca. 50 der zu therapeutischen Zwecken am häufigsten eingesetzten Substanzen hat die FN Nachweiszeiten geprüft. Bedauerlicherweise sind diese Nachweiszeiten individuell sehr variabel. Die Nachweisbarkeit einer verabreichten Substanz wird von vielen Faktoren beeinflusst. Beispielhaft seien erwähnt: die Höhe der verabreichten Dosis, die Häufigkeit der Behandlung, die Wechselwirkungen mit anderen gleichzeitig verabreichten Substanzen, der Einfluß des Futters, die durch Krankheiten veränderte Stoffwechselsituation, der Trainingszustand, die Nachweismethode u.a..
Um dieser Variabilität zu begegnen und größtmögliche Sicherheit zu schaffen nicht positiv getestet zu werden, wird bei Substanzen mit bekannter Nachweiszeit ein zeitlicher Sicherheitszuschlag addiert. Nachweiszeit plus Sicherheitszuschlag ergibt dann die sog. „Karenzzeit“. Diese „Karenzzeit“ ist die Zeitspanne in der von der letzten Gabe einer Substanz bis zum Einsatz im Wettkampf 99% der Pferde frei sind von verbotenen Substanzen. Folgt man den von der FN publizierten „Karenzzeiten“, bleibt ein Restrisiko von 1% wegen „unerlaubter Medikation“ positiv getestet zu werden.
Was also ist zu tun?
- Art, Anzahl und Menge der zur Behandlung erforderlichen medikamentellen Substanzen auf das tatsächlich notwendige Maß beschränken.
- Substanzen mit bekannt langer oder unsicherer Nachweiszeit meiden.
- Um der Forderung unter Pkt. 1 zu genügen, ist eine gezielte Therapie auf der Grundlage einer möglichst exakten Diagnose erforderlich. Eine mangelhafte Diagnostik führt zum Einsatz zu vieler Substanzen über unbestimmte Zeiträume (Polypragmatismus).
- Realistische Prognosestellung und Einhalten angemessener Rekonvaleszenzzeiten.
- Fachkundigen tierärztlichen Rat einholen.
- Nachvollziehbare Dokumentation der Behandlung und Beratung über Karenzzeiten durch Führen eines „Stallbuches“.
Dem tierärztlichen Rat kommt zur Vermeidung von „unerlaubten Medikationen“ besondere Bedeutung zu, denn gemäß des nationalen und internationalen Reglements ist es die persönliche Pflicht der für das Pferd verantwortlichen Person (z.B. Reiter, Fahrer, Longenführer, Besitzer, Eigentümer) dafür Sorge zu tragen, dass keine verbotenen Substanzen in den Organismus seines Pferdes gelangen. Deswegen wird von dem behandelnden Tierarzt im Zusammenhang mit der therapeutischen Verabreichung von Medikamenten eine möglichst verlässliche Beratung über „Karenzzeiten“ erwartet, da die für das Pferd verantwortlichen Personen ihrer oben genannten Verpflichtung genügen wollen / müssen.
Ein wesentlicher strategischer Gesichtspunkt zur Vermeidung „unerlaubter Medikationen“ ist folgender Sachverhalt: Die Zeitspanne zwischen dem Auftreten einer Erkrankung (über Diagnostik, Therapie, seriös terminierter Rekonvaleszenzzeit und individuellem Aufbautraining) und dem nächst möglichen Einsatz eines Pferdes im Wettkampf ist immer länger als die Nachweiszeit der indiziert verabreichten Medikamente.
Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen:
Wir behandelnden Tierärzte haben durch die von der FN empfohlenen „Karenzzeiten“ eine Beratungsgrundlage, müssen aber eine Reihe von Faktoren bedenken, die die Medikamentenausscheidung des behandelten Pferdes beeinflussen. Die tierärztliche Sorgfaltspflicht gebietet, die für das Pferd verantwortlichen Personen über Risiken und Unwägbarkeiten zur Vermeidung „unerlaubter Medikationen“ zu beraten. Eine gute Dokumentation der Behandlung und Beratung zu „Karenzzeiten“ ist in Zweifelsfällen hilfreich („Stallbuch“). Die reglementierenden Pferdesportverbände müssen weiterhin dringend wissenschaftliche Studien zu Nachweiszeiten, minimal wirksamen Wirkstoffkonzentrationen und Grenzwerten veranlassen oder unterstützen, um zunehmend verlässlichere Daten zu erhalten.
Weiterführende Informationen: